Montag, 30. November 2015

Das Erbe der Eiszeiten - Neuseeland

Immer wieder Regen. Wir warten das Schlechtwetter in Central Otago ab, der südlichsten Weinregion der Welt. In einem Weinbaugebiet zu bleiben, ist grundsätzlich eine gute Idee. Und tatsächlich: Dank Pinot Gris und Pinot Noir ist der Klang der Regentropfen am Camperdach berauschend schön. Am nächsten Morgen kommt wieder die Sonne durch. Die dichte Wolkendecke zerfällt und wir brechen ein weiteres Mal in den Süden auf - ins Fiordland. Unser Ziel: Milford Sound - einer der schönsten Fjorde der Welt. James Cook ist bei der Entdeckung Neuseelands an ihm vorbei gesegelt, weil er ihn für eine unbedeutende Bucht hielt. Nur einen weiter südlich liegenden Fjord erwähnte er in seinem Logbuch. Allerdings bezweifelte er, mit seinem Schiff darin wenden und wieder hinausfahren zu können. Deshalb nannte er den Fjord "Doubtful Sound". Cook war ein nüchterner Mann.

Im Milford Sound dringt der Ozean 15 Kilometer in das Landesinnere vor und sein salziges Wasser wird von einer Schicht Süßwasser bedeckt, das über die steilen Berghänge in den Fjord flutet. Entstanden ist er durch die Gletscherbewegungen der Eiszeit. Die Maori entdeckten den Milford Sound bereits 1.000 Jahre früher - auf der Suche nach Jade. Und sie erzählen eine andere Geschichte über seine Entstehung: Tu-te-raki-whanoa - ein göttliches Wesen - hackte mit seiner Axt Schluchten in das Gestein, die sich nach und nach mit Meerwasser füllten. Aber dieses Mal gefällt uns die Geschichte der nüchternen Geologen besser. Man kann in ihr noch heute das Millionen Jahre lange Schaben und Ächzen des Eises hören, das in manchen Augenblicken lauter ist als der Dieselmotor des Schiffes, das uns langsam durch das ruhige Wasser des Sounds schiebt.





Samstag, 28. November 2015

Der schlafende Riese und südlicher Wein - Neuseeland

Wir lassen Invercargill hinter uns. Und seine Sturmböen. Die ganze Nacht über hatten sie unser Wohnmobil gebeutelt. Jetzt liegt der Wagen ruhig auf der Straße nach Queenstown - zwei Autostunden weiter nördlich. Die letzten Kilometer führen am Lake Wakatipu entlang, der wie ein riesiges, schwungvolles S in das Gebirge graviert ist, und an dessen mittlerem Bogen Queenstown liegt. Neben Form und Größe hat dieser See noch eine andere Besonderheit: Er hebt und senkt sich alle fünf Minuten um zwölf Zentimeter - vermutlich wegen der eigentümlichen atmosphärischen Druckverhältnisse in diesem Tal. Und das ist bestimmt eine gute Erklärung. Aber die Geschichte der Maori ist besser: Am Grund Sees - so erzählen sie - schläft nämlich ein Riese. Und der See hebt und senkt sich mit seinem Herzschlag.

Der Herzschlag des Sees ist heute bedeutend schneller. Seit das Bungy Jumping hier in Queenstown erfunden wurde, pflegt die Stadt ihr Image als "Adrenalinzentrum" Neuseelands. An jeder Ecke kann man ein Abenteuer oder zumindest ein verspannendes Sporterlebnis buchen. Helm, Schwimmweste und Knieschützer gehören zum Standard-Oufit des Queenstown-Besuchers. Und kurze Hosen - trotz Kälte. Aufregung wärmt. Inmitten der Rafter, Jumper, Downhiller und Jetboot-Raser ist der Gedanke an den Riesen wohltuend. Er schläft entspannt am Seegrund, und sein Herz schlägt beschaulich und kraftvoll.

Wir ziehen weiter. Denn es zieht uns zum Wein. Nur eine knappe Autostunde von den schneebedeckten Bergen rund um Queenstown und seinen Stresshormonen entfernt, liegt Cromwell - das Zentrum der südlichsten Weinregion der Welt. Einige Breitengrade südlicher als in Chile beispielsweise gedeihen hier Sauvignon Blanc, Pinot Gris und Riesling - vor allem aber der schwierige Pinot Noir. Er hat hier im kühlen Süden vor Jahrzehnten eine neue Heimat gefunden, und er schmeckt außergewöhnlich. Wohltuend kräftiger als gewohnt und doch mit diesem fein gestrichelten Geschmack, der für ihn so typisch ist. Das Herz schlägt ruhig beim letzten Glas. Vielleicht träumen wir diese Nacht von einem Riesen, der am Grund eines Sees schläft.









Donnerstag, 26. November 2015

Schafe, Pinguine und Gras aus Wales - Neuseeland

Nur Schottland ist schottischer. Als die ersten Siedler hier in Otago eine Stadt gründeten, nahmen sie sich ein Vorbild an ihrer Heimatstadt. Ein "Edinburgh des Südens" sollte entstehen. Und so nannten sie die Stadt Dunedin, abgeleitet vom schottisch-gälischen Namen für Edinburgh. Dann rodeten sie die Umgebung, stellten die mitgebrachten Schafe in das frei gewordenen Land und warteten auf deren Vermehrung - vergeblich. Das neuseeländische Gras war zu wenig nahrhaft, weshalb die schottischen Farmer Grassamen aus Wales importierten, erzählt Warren, ein Wildhüter, während er uns auf die Otago Peninsula hinausfährt. Die Schafe gediehen daraufhin prächtig, und aus den neuseeländischen Wäldern wurden nach und nach walisische Hügel.

Neuseeland verlor auf diese Weise drei Viertel seiner ursprünglichen Wälder. Der heutige Waldbestand stammt größtenteils aus den USA und Kanada - umgeben von den Wiesen aus Wales. Ähnlich erging es der Tierwelt - vor allem den flugunfähigen Vögeln. Diese mussten über Jahrtausende vor niemandem fliehen, weshalb sie niemals fliegen lernten. Als vor rund 1.000 Jahren Südsee-Bewohner mit ihren Kanus landeten, war es für Flugübungen zu spät. Die Maoris - wie sie sich selbst nannten - verspeisten die größten und nahrhaftesten Vögel fast zur Gänze. Den Rest vernichteten Hund und Katz' der Europäer. Noch heute werden 95% aller Kiwis - der Nationalvogel Neuseelands - von wilden Hunden, Katzen und Possums, kurz nachdem sie geschlüpft sind, gefressen. Die Neuseeländer kämpfen heute verzweifelt darum, den Kiwi zu retten.

Geblieben sind Seelöwen und Robben, Gelbaugen-Pinguine und die erstaunlichen Königsalbatrosse mit einer Flügelspannweite von drei Metern. Sie brauchen ein ganzes Jahr, um ihre Flugfähigkeit auszubilden, probieren es in dieser Zeit aber kein einziges Mal aus. Wenn sie das erste Mal abheben, geht ihre Reise sofort nach Chile - in einem zehntägigen, ununterbrochenen Flug. Danach kreisen sie - fast ohne jemals zu landen - mehrere Jahre über dem Ozean, ehe sie nach Dunedin zurückkehren, sich verlieben und auf der Halbinsel vor der Stadt brüten. Vieles vom ursprünglichen Neuseeland verschwand, manches ist geblieben. Und so spazieren heute Pinguine gemeinsam mit Schafen über Wiesen aus Wales.














Montag, 23. November 2015

Das Fenster zu Gott - Neuseeland

Eine Kirche ohne Altar. Freilich wurde er nicht einfach vergessen. Der Baumeister hat auf ihn verzichtet. Das dominierende Element dieser winzigen Kirche, die 1935 am Südufer des Lake Tekapo gebaut worden war, ist nicht der Altar, auch nicht das Kreuz. Es ist die umgebende Natur. Anstatt des Altars befindet sich in der Rückwand der Kirche ein riesiges Fenster, das den sakralen Raum zum See hin öffnet: Gläubige und Priester stehen am Altar des Lake Tekapo und der gewaltigen Gebirgskette, in deren Mitte der wolkenverhangene Mount Cook steht. Sucht man Gott hier eher in der Natur als in der Kunstfertigkeit des Menschen? Oder soll die Natur hier selbst Gott sein? Oder ist die Antwort viel einfacher?


Meer und Gebirge sind einander nahe - in Neuseeland. Es sind nur wenige Straßenkilometer von der Küste in das Hochgebirge und zu dessen türkisblauen Gletscherseen. Und so ist es auch naheliegend, dass die Neuseeländer ihren höchsten Berg nach einem Seefahrer benannt haben, nach dem Entdecker James Cook. Auch die Maori nannten den mehr als 3.700 Meter hohen Berg nach einer bedeutenden Persönlichkeit ihres Stammes: Aoraki. Ein Denkmal in karger und eisiger Umgebung. Nur ein Meer aus Lupinen am Südufer des Sees färbt den Blick warm - im kalten Wind der Berge.











Samstag, 21. November 2015

Altes und neues Leben in Christchurch - Neuseeland

Zwischen Sydney und Neuseeland liegen nur drei Flugstunden. Die politisch ausgebeulten Zeitzonen sorgen aber dafür, dass es zwei Stunden mehr sind. Neuseeland beginnt für uns auf der Südinsel, in Christchurch. Noch merkt man es nicht, wenn man um 1:00 Uhr am Morgen in der zähflüssigen Schlange am Immigration Desk steht, sich todmüde ins Motel schleppt und am nächsten, windigen Morgen das reservierte Wohnmobil übernimmt. Aber wenn man das erste Mal durch die Straßen fährt und durch die Gassen geht, erschreckt man: Dieser Stadt fehlen die Häuser. Nicht vereinzelt, da oder dort in einer Straße, sondern über große Areale der Innenstadt hinweg. Eine Stadt als Ansammlung leerer Räume.

Wir - vom anderen Ende der Welt her kommend - haben nur eine schwach glimmende Erinnerung daran: In den frühen Morgenstunden des 4. September 2010 erschüttert ein schweres Beben die Stadt. Große Schäden, keine Toten. Aber nur sechs Monate später bebt die Erde erneut, zur Mittagszeit und näher am Stadtzentrum. Zahlreiche Gebäude stürzen ein, 185 Menschen kommen dieses Mal unter den Trümmern ums Lebens. Im Stadtzentrum werden 70% aller Häuser vollkommen zerstört oder müssen danach abgerissen werden. Zehntausende ziehen weg, mehr als ein Fünftel der Bevölkerung. Christchurch liegt am Boden.

Heute regt sich längst neues Leben in der Stadt. In den leeren Räumen ist augenscheinlich Platz für Inspiration, Kreativität und Innovation - auch wenn es bisher nur Skizzen, Container oder Baufundamente sind. Viele ziehen wieder nach Christchurch und wollen Teil des Neuanfanges einer Stadt sein. Neben zahlreichen Kunst- und Architekturprojekten will man neue Formen des urbanen Lebens verwirklichen: städteplanerisch, ökologisch, sozial. In Berichten liest man immer wieder, dass es typisch für die neuseeländische Mentalität sei, nicht aufzugeben, sondern anzupacken und von vorne zu beginnen. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass das für alle Menschen typisch ist, ob sie nun in Tokyo, Wien oder New York leben, in Rom, Attnang-Puchheim oder sonst wo. Im Unglück überwinden Menschen Grenzen, bauen Schranken ab, sehen über Befremdliches hinweg, nutzen ihren Verstand ebenso wie ihr Herz und leisten gemeinsam Außerordentliches. Warum tun sie das nicht bereits dann, wenn sie das Unglück kommen sehen? Ein Erdbeben sieht man nicht kommen, anderes aber schon.

Am nächsten Morgen fahren wir hinaus nach Akaroa, vorbei an gemächlichen Schafherden und bleiben dort über Nacht, wo sanfte Berghänge in ein ungestümes Meer münden. Das ist kein Unglück, das ist ein Glück.